Die Betrachtung von Integrationsaspekten, insbesondere auch unter Berücksichtigung der Autonomie von Entscheidungsträgern und Informationsasymmetrie, die Modellierung von Präferenzen der Entscheider, die effiziente Ermittlung robuster Lösungen sowie die Verkürzung der Zeit zur Modellerstellung und -nutzung sind Herausforderungen, die in zukünftigen Forschungsaktivitäten für eine modellbasierte Entscheidungsunterstützung in Produktions- und Dienstleistungsnetzwerken zu berücksichtigen sind. Der Artikel schlägt eine Forschungsagenda vor, die eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Wirtschaftsinformatikern mit Wissenschaftlern aus der Betriebswirtschaftslehre, der Informatik und dem Operations Research erfordert. Einige Beispiele für relevante Forschungsergebnisse werden vorgestellt.

1 Relevanz und Aktualität des Themas für die Wirtschaftsinformatik

Eine Entscheidungsunterstützung für Produktions- und Dienstleistungsnetzwerke ist aufgrund der extremen Größe der heutigen in starkem Maße verflochtenen globalen Liefernetzwerke, der hohen Geschwindigkeit, mit der Änderungen stattfinden, sowie dem Vorhandensein unterschiedlicher Typen von Unsicherheit herausfordernd. Die Interaktion der vielen kapazitätsverbrauchenden Entitäten in Produktions- und Dienstleistungsnetzwerken, wie beispielsweise Teile oder Transportaufträge, ist bisher nicht gut verstanden. Eine wachsende Bedeutung der Automatisierung auf der physischen Ebene kann beobachtet werden, die durch erwartete Produktivitätssteigerungen, Kostenreduzierungen sowie die angestrebte Erhöhung der Qualität in Produktions- und Dienstleistungsnetzwerken vorangetrieben wird. Gleichzeitig reduziert die Automatisierung die Möglichkeit von Menschen, kritische Entscheidungen in bestimmten Situationen zu treffen, da zum einen die Entscheidungskomplexität sich vergrößert hat, es gleichzeitig aber notwendig ist, sehr schnell in einem hochgradig dynamischen Umfeld zu reagieren. Entscheidungsmodelle können diese Nachteile abschwächen, indem sie Planungs- und Steuerungsentscheidungen unterstützen.

Vieles deutet darauf hin, dass eine modellbasierte Entscheidungsunterstützung oft Entscheidungen ermöglicht, die zu einer besseren Befriedigung von Kundenwünschen, zu einer erhöhten Auslastung sowie zu niedrigeren Beständen führten. Deshalb gibt es gewichtige ökonomische Gründe, die dafür sprechen, eine modellbasierte Entscheidungsunterstützung in zukünftigen Produktions- und Dienstleistungsnetzwerken zu erweitern und zu verbessern.

In diesem Artikel betrachten wir eine modellbasierte Entscheidungsunterstützung, auch als Business Analytics bezeichnet, um diese Herausforderungen zu meistern. Wir grenzen uns damit von einer datengetriebenen Entscheidungsunterstützung oder Business Intelligence ab. Die Bedeutung von Anwendungssystemen, die eine modellbasierte Entscheidungsunterstützung gestatten, wird beispielsweise durch die Erfolgsgeschichte von Kiva Systems, einer Firma, die auf die Anwendung von mobilen Robotern für Verteilzentren spezialisiert ist (vgl. D’Andrea 2012), demonstriert. Kiva Systems wurde kürzlich von Amazon für 775 Millionen US-Dollar gekauft. Kiva Systems hat eine Infrastruktur für die Bewegung der Roboter entworfen und implementiert, die auf dem Multi-Agenten-Paradigma basiert. Die Infrastruktur erlaubt es den Robotern, Gegenstände unter Platzrestriktionen zu transportieren, ohne sich gegenseitig zu behindern. Modellbasierte Adaptions- und Lernalgorithmen wurden vorgeschlagen, die eine Erhöhung der Leistungsfähigkeit der Roboter im zeitlichen Verlauf ermöglichen.

Heutzutage gestatten Anwendungssysteme die Nutzung einer großen Menge strukturierter Daten zur Entscheidungsfindung. In jüngerer Zeit hat sich die Leistungsfähigkeit von Hard- und Softwarekomponenten stark erhöht. Basierend auf moderner Middleware können verteilte Systeme relativ leicht implementiert werden. IT-Dienste sind weithin durch cloudbasierte Lösungen verfügbar. Leistungsfähige Algorithmen, die heuristische und exakte Ansätze in einer geschickten Art und Weise kombinieren, werden heute routinemäßig entwickelt (vgl. Maniezzo et al. 2009). Infolgedessen können heute, im Gegensatz zur Situation vor 20 Jahren, große Praxismodelle mit vertretbarem Zeitaufwand gelöst werden. Ein repräsentatives Beispiel ist die Anwendung von Dekompositionstechniken, linearer Optimierung und Heuristiken, um Planungsaufgaben in der unternehmensweiten Halbleiterlieferkette von IBM zu lösen (vgl. Degbotse et al. 2013). Als Ergebnis erhält man einen integrierten Produktions-, Transport- und Lieferplan, der die Termintreue um 15 % verbessert hat. Gleichzeitig werden die Bestände um 25–30 % verringert. Die integrierte Produktions- und Ablaufplanung in Ford-Werken (vgl. Barlatt et al. 2012) stellt ein weiteres Beispiel dar, das zu großen Verbesserungen in der Arbeitsplatz- und Ablaufplanung führte. Der vorgeschlagene Ansatz ermöglichte eine signifikante Verringerung von Überstunden, Lagerhaltungskosten sowie von Aufschlägen für Transportkosten.

Die Lösung von großen Tourenplanungsproblemen in der Firma Coca-Cola, die mehr als 10000 LKW pro Tag beinhalten (vgl. Kant et al. 2008), stellt ein weiteres Beispiel dar, das zu jährlichen Kosteneinsparungen von 45 Millionen US-Dollar für die 1,5 Milliarden Fälle geführt hat, in denen die Auslieferung unter Verwendung der Software geplant wurde. Außerdem war eine starke Verbesserung des Kundenservices zu verzeichnen.

Es wird erwartet, dass aktuelle Technologietrends wie beispielsweise In-Memory-Datenmanagement (vgl. Plattner und Zeier 2011) zu erweiterten und modifizierten Anwendungsszenarien führen werden. Trotz dieser günstigen Bedingungen ist festzustellen, dass eine breite Anwendung moderner Ansätze zur Entscheidungsfindung sowie entsprechender Anwendungssysteme in der Praxis nicht anzutreffen ist. Die Funktionalität, die durch gegenwärtig vorhandene Anwendungssysteme, speziell auch betriebswirtschaftliche Standardsoftware, angeboten wird, berücksichtigt nicht diese neuen, günstigen Bedingungen für die Entscheidungsfindung. Daraus folgt, dass fortgeschrittene Entscheidungsunterstützungssysteme zu entwerfen sind, die auf verbesserten Algorithmen und ihrer Wechselwirkung mit Informationstechnologie basieren. Wir erwarten, dass eine Auseinandersetzung mit den nachfolgenden Herausforderungen im starken Maße dazu beitragen wird, dass ein breiter Einsatz von effizienten Entscheidungsunterstützungslösungen in praktischen Anwendungsszenarien erreicht wird.

Herausforderung 1: Integration ist wichtig, da die Entscheidungen in Produktions- und Dienstleistungsnetzwerken räumlich und zeitlich verteilt stattfinden sowie unterschiedliche Entscheider mit individuellen Zielen daran beteiligt sind. Deshalb ist es erforderlich zu untersuchen, wie die Integration von unterschiedlichen Subsystemen und der entsprechenden Entscheidungen in Produktions- und Dienstleistungsnetzwerken beispielsweise durch Verhandlungen oder Planungsaktivitäten erreicht werden kann. In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig zu untersuchen, wie die Präferenzen menschlicher Entscheidungsträger in Anwendungssystemen modelliert werden können, da das einen wichtigen Schritt in Richtung automatisierter Entscheidungen darstellt.

Herausforderung 2: Robustheitsaspekte sind wichtig, um Unsicherheit berücksichtigen zu können. Eine wichtige Forschungsfrage beschäftigt sich damit, wie Entscheidungen zu treffen sind, die mit dem dynamischen und stochastischen Verhalten des zugrundeliegenden Produktions- und Dienstleistungsnetzwerks umgehen können.

Herausforderung 3: Modellierung ist immer noch schwierig und zeitaufwändig. Aus diesem Grund ist es erforderlich, den Zyklus der Modellbildung und -nutzung zu vereinfachen, um die Effektivität der angestrebten modellbasierten Entscheidungsunterstützung zu erhöhen. Geeignete Mensch-Maschine-Schnittstellen sind zu betrachten, da Menschen die flexibelste Ressource darstellen.

Der Beitrag ist wie folgt aufgebaut. Die Herausforderungen werden in Abschn. 2 detaillierter beschrieben. Wissenschaftliche Methoden zur Lösung der skizzierten Probleme werden in Abschn. 3 dargestellt. Relevante akademische Disziplinen und mögliche interdisziplinäre Kooperationen werden in Abschn. 4 umrissen. Beispiele für initiale Forschungsergebnisse werden in Abschn. 5 vorgestellt.

2 Problembeschreibung und Herausforderungen für die Forschung

2.1 Bezugsrahmen

Das Informationssystemssystem eines Produktions- und Dienstleistungsnetzwerkes kann aus mehreren Subsystemen bestehen. Jedes der Subsysteme auf der Planungs- und Steuerungsebene besitzt ein internes Modell, das Daten der korrespondierenden Subsysteme des physischen Netzwerkes enthält, beispielsweise alle Maschinen und Jobs einer Halbleiterfabrik, welche wiederum Bestandteil eines Unternehmens der Halbleiterindustrie ist. Jedes der Subsysteme für die Planung und Steuerung, zum Beispiel ein ERP-System oder ein Manufacturing-Execution-System (MES), kann mehrere Entscheidungsmodelle besitzen, die auf Basis der Daten in den internen Modellen Vorgaben für andere Planungs- und Steuerungssubsysteme oder für Objekte im physischen Netzwerk berechnen. Derartige Entscheidungsmodelle bilden den Kern jedes Entscheidungsunterstützungssystems für komplexe Produktions- und Dienstleistungsnetzwerke.

Der Entwurf entsprechender Entscheidungsunterstützungsfunktionalität, die durch die Entscheidungsmodelle zur Verfügung gestellt wird, ist wesentlich für unsere Forschungsagenda. Die folgenden Einsichten, die das eben beschriebene ideale Entscheidungsfindungsszenario relativieren, sind bei der Identifizierung von Forschungsproblemen zu berücksichtigen:

  1. 1.

    Die internen Modelle enthalten oft Daten, die nicht für die erforderlichen Entscheidungen geeignet sind, da sie nicht detailliert genug sind, der aktuelle Status nicht korrekt abgebildet wird oder historische Daten, die zur Ermittlung bestimmter Parameter in stochastischen Modellen erforderlich sind, fehlen. Wenn ein Entscheidungsmodell entworfen wird, ist es wichtig zu klären, wie die erforderlichen Daten in einer sich schnell verändernden Umgebung, die typisch für Produktions- und Dienstleistungsnetzwerke ist, bereitgestellt und gepflegt werden können.

  2. 2.

    Die Subsysteme zur Planung und Steuerung sind nicht vollständig automatisiert, d. h., menschliche Aufgabenträger sind eingebunden, die eigene Entscheidungen treffen oder Entscheidungen des Anwendungssystems außer Kraft setzen. Aus diesem Grund ist zu berücksichtigen, ob der Empfänger einer Entscheidung ein menschlicher Aufgabenträger oder ein Computer ist. Im letzteren Fall sind Standard-Aktionen vorzusehen, die zum Einsatz kommen, wenn implizite Annahmen, zum Beispiel bezüglich der Verfügbarkeit von Jobs oder Ressourcen, verletzt sind. Dadurch wird ein höherer Automatisierungsgrad auch bei der Entscheidungsunterstützung möglich, der aufgrund des sich vergrößernden Automatisierungsgrades im physischen Netzwerk sinnvoll ist.

Wir setzen eine moderne Hard- und Softwareinfrastruktur voraus, die eine effektive Verknüpfung von physischer und IT-Welt ermöglicht. Dadurch werden prinzipiell autonome, selbstorganisierende, sensorgetriebene Produktions- und Dienstleistungsnetzwerke möglich. Es ist aber festzustellen, dass der Entwurf von Planungs- und Steuerungssubsystemen, die Vorteile aus einer solchen Infrastruktur, beispielsweise bezüglich der Umsetzung von Autonomie bzw. der Verfügbarkeit großer Mengen an Daten, ziehen, in der Literatur bisher selten diskutiert worden ist. Unserer Meinung nach sind die Forschungsherausforderungen, die im weiteren Verlauf dieses Abschnitts diskutiert werden, wichtig für den Entwurf und die Gestaltung derartiger zukunftsweisender Anwendungssysteme.

2.2 Integration unter Berücksichtigung von Autonomie und Informationsasymmetrie in großen Produktions- und Dienstleistungsnetzwerken

Diese Herausforderung ist motiviert durch die verteilte Entscheidungsfindung, die typisch für das Supply Chain Management (SCM) ist. SCM kann als die Koordination von Logistikprozessen angesehen werden, die lokal durch verschiedene autonome Entscheidungseinheiten gesteuert werden. Koordinationsprobleme treten auf, weil Asymmetrie bezüglich des Entscheidungszeitpunkts, d. h., die Entscheidungseinheiten operieren in unterschiedlichen Zeitskalen, bezüglich der Entscheidungsrechte und bezüglich des Informationsstatus der Entscheidungseinheiten vorliegt. Die unterschiedlichen Subsysteme des Planungs- und Steuerungssystems des Netzwerkes unterstützen häufig nur lokale Ziele, die oft in Konflikt zu den globalen Zielen des Netzwerks stehen. Obwohl einige aktuelle Arbeiten dezentrale Entscheidungsmechanismen betrachten, zum Beispiel die von Dudek (2009) beschriebenen Verhandlungsansätze, basieren viele SCM-Ansätze und die meisten der Standardsoftwaresysteme im SCM-Bereich auf der Annahme einer einzelnen, zentralen Entscheidungseinheit (vgl. Schneeweiss 2003).

Als eine Konsequenz aus dieser Situation erscheint es notwendig zu untersuchen, wie Planungs- und Steuerungssysteme zu entwerfen sind, welche die Autonomie lokaler Entscheidungseinheiten wahren. Gleichzeitig haben diese Einheiten stärker globale Entscheidungen anderer Einheiten zu berücksichtigen, die auf anderen, möglicherweise besseren Informationen beruhen. Das führt zu der Frage, wie Planung und Steuerung in großen Produktions- und Dienstleistungsnetzwerken geeignet zu verbinden ist. Koordinationsmechanismen für autonome Akteure in verteilten Planungs- und Steuerungsszenarien, die geeignete Anreize berücksichtigen, sind zu analysieren.

Wie bereits in Abschn. 2.1 diskutiert, gibt es einen natürlichen Zielkonflikt zwischen zunehmender Automatisierung und autonomer Entscheidungsfindung in dem Sinne, dass eine zunehmende Automatisierung zu einem gewissen Grad die Autonomie der Entscheider einschränkt. Moderne Informatikkonzepte wie Softwareagenten versuchen, die Autonomie der Entscheidungseinheiten zu wahren. Ein solcher Ansatz verlangt aber Wissen über die expliziten oder impliziten Ziele der Entscheider. Es ist wichtig, Anreize in Koordinationsmechanismen einzubinden, die sich auf die globalen Ziele des Netzwerkes beziehen. Die zugehörigen Präferenzen der individuellen Entscheider sind zu bestimmen und eventuell für eine gruppenbasierte Entscheidungsfindung zu aggregieren, da es in den meisten Produktions- und Dienstleistungsnetzwerken nicht nur einen einzelnen Entscheider gibt. Eine explizite Darstellung der Präferenzen ist wünschenswert, da sie ansonsten lediglich implizite Vorstellungen von Individuen darstellen, die keine automatisierten Entscheidungen ermöglichen. Die Umwandlung von impliziten in explizite Präferenzen wird Präferenzerhebung genannt. Entsprechende Erhebungsmethoden haben zu berücksichtigen, dass die Präferenzen, die in dynamischen, sich veränderlichen Produktions- und Dienstleistungsnetzwerke anzutreffen sind, häufig unsicher sind. Die unsicheren Präferenzen eines menschlichen Entscheiders sind durch ungenaue, vage und subjektive Nutzenwerte (vgl. Lang et al. 2012) charakterisiert. Methoden der stochastischen Modellierung und der Statistik sind nicht gut geeignet, um diese Art von Unsicherheit in automatischen Verhandlungen abzubilden, da ein Sampling oft nicht möglich ist. Die meisten derartiger Methoden bieten lediglich Lösungen für den Gleichgewichtsfall an, sie erlauben aber keine Erkenntnisse für Übergangsphasen. Aus diesem Grund ist es wichtig, alternative quantitative Ansätze zur Abbildung von Unsicherheit zu betrachten.

In jüngerer Zeit wurden Ansätze vorgeschlagen, die auf integrierten Planungsaktivitäten in Produktions- und Dienstleistungsnetzwerken basieren. Typische Beispiele sind die integrierte Ablaufplanung und Entscheidungen in automatischen Transportsystemen sowie die integrierte Ablaufplanung und Prozesskontrolle. Neue Trends für Hard- und Software wie das In-Memory-Datenmanagement unterstützen in starkem Maße diese Entwicklung. Die Folge sind zentralisierte Lösungsansätze, die im Widerspruch zu den überall zu sehenden Anstrengungen stehen, in stärkerem Maße lokale (dezentrale) Entscheidungen in Netzwerken zu gestatten, die dann zu koordinieren sind (vgl. Schütte 2012, S. 212). Es ist im Rahmen von weiteren Untersuchungen die Frage zu beantworten, unter welchen Bedingungen integrierte Planungsansätze sinnvoll sind, weil sie den dezentralen Ansätzen überlegen sind.

2.3 Ermittlung robuster Lösungen unter Berücksichtigung unvollständiger Informationen sowie eines dynamischen und stochastischen Systemverhaltens

Aufgrund der erweiterten IT-Möglichkeiten, beispielsweise zeitgemäßer Telematiksysteme in der Tourenplanung (vgl. Crainic et al. 2009), ist es heute relativ leicht möglich, Abweichungen von der Situation zu erkennen, auf der die Planungs- oder Steuerungsentscheidungen basierten. Typische Beispiele sind längere Fahrdauern aufgrund von Verkehrsstaus in der Tourenplanung, Nachfrageunsicherheit und unsichere Zulieferungen von kapazitierten Produktionssystemen, die zu Peitscheneffekten führen, das Risiko von Ansehensverlusten und Qualitätsschwankungen. Die verfügbaren Informationen werden oft nur in geringem Maße ausgenutzt, um dynamisch auf Veränderungen zu reagieren. Wir erwarten, dass eine Kombination von verbesserter Datenverfügbarkeit und den Fortschritten in den Algorithmen zu neuen Arten von Entscheidungsunterstützungssystemen führen werden. Im Gegensatz zu einer ausschließlichen Reaktion auf Störungen kann Robustheit in Bezug auf die Lösungsqualität und die Lösung selber, d. h. Stabilität, durch eine Antizipation des unsicheren Systemverhaltens und dessen Berücksichtigung während der Planung erreicht werden.

Die zugehörige Forschungsfrage besteht darin, wie Algorithmen und Systeme zu entwerfen sind, die in der Lage sind, mit dem dynamischen und stochastischen Verhalten des zugrundeliegenden Basissystems umzugehen. Stabilitäts- und Robustheitseigenschaften von Lösungsansätzen sind ebenfalls von Interesse. Es ist erforderlich, Algorithmen zu entwerfen, welche die möglichen stochastischen Veränderungen bereits aufgrund ihres Entwurfs berücksichtigen. Gegenwärtig wird lediglich versucht, der inhärenten Unsicherheit, die typisch für viele Planungssituationen in der Praxis ist, mit sehr einfachen Methoden zu begegnen (vgl. Graves 2010). Außerdem ist es interessant zu untersuchen, in welchen Situationen Eingriffe menschlicher Entscheider in automatische Planungs- und Steuerungssysteme erforderlich sind.

2.4 Verkürzung des Modellbildungs- und Nutzungszyklus

Modellierung und Simulation sind etablierte Methoden für die Entscheidungsunterstützung. Gleichwohl ist festzustellen, dass die Entwicklung diskreter Simulationsmodelle immer noch sehr zeitaufwendig ist, obwohl die Datenverfügbarkeit in starkem Maße verbessert wurde und große Anstrengungen unternommen worden sind, um Modelle automatisch zu generieren (vgl. Fischbein und Yellig 2011). Dies behindert einen weitverbreiteten Einsatz der diskreten Simulation in der Industrie. Das gilt insbesondere auch für die seit langem existierende Vision der Unterstützung der Produktionssteuerung in Echtzeit unter Verwendung von Simulationsmodellen, die aus aktuellen Daten des Netzwerkes erzeugt wurden, da in dieser Situation hochgradig detaillierte Modelle erforderlich sind. Die Bereitstellung derartiger Modelle, die Aspekte einer fortgeschrittenen Automatisierung wie automatischem Materialtransport, Montageroboter oder Clustertools, d. h. spezifische, aus mehreren Maschinen bestehende Minifabriken, beinhalten, ist immer noch alles andere als trivial.

Simulation kann zur Abbildung des stochastischen Verhaltens großer Netzwerke eingesetzt werden, wenn sie schnell genug ist und die entsprechenden Modelle leicht zu entwickeln sind. Wir sind in der Lage, einzelne Knoten solcher Netzwerke zu simulieren. Allerdings existieren nur initiale Arbeiten, insbesondere auch zur Integration von Optimierungsansätzen, die sich mit der Frage beschäftigen, wie die Lieferkette eines großen Unternehmens unter Verwendung eines oder mehrerer Simulationsmodelle zu simulieren ist, beispielsweise für einen global tätigen Hersteller von Halbleitern mit Dutzenden von Halbleiterfabriken, von denen jede wiederum hunderte von Maschinen und Jobs enthält. Das Supply Chain Optimization and Protocol Environment (SCOPE) (vgl. Orcun et al. 2007) ist ein interessantes Beispiel für ein SCM-Modellierungswerkzeug. Allerdings wurden bisher nur Anwendungsszenarien relativ geringer Komplexität untersucht, und die Abbildung von dynamischem und stochastischem Systemverhalten ist anspruchsvoll. Es ist erforderlich, reduzierte Simulationsmodelle zu untersuchen, die zwar einfach sind, gleichzeitig aber in der Lage sind, wesentliche Aspekte wie die Dynamik des Netzwerkes und lastabhängige Durchlaufzeiten abzubilden. Wir bemerken, dass das Problem im Wesentlichen in fehlenden methodischen Ansätzen liegt und nicht in ungeeigneten Simulationswerkzeugen. Bisher existieren nur wenige Ansätze zur Reduktion, die sich alle mit einer detaillierten Modellierung von Arbeitsgängen auf Engpassmaschinen beschäftigen. Die Arbeitsgänge auf den Maschinen, die keine Engpässe sind, werden anstelle einer detaillierten Modellierung durch feste Verzögerungszeiten ersetzt. Da sich aber Engpässe im zeitlichen Verlauf verschieben können und die Verzögerungszeiten lastabhängig sind, erfordert dieser Ansatz weiteren Forschungsbedarf wie von Rose (2007) im Kontext der Simulation von Halbleiterfabriken gezeigt werden konnte. Das Vorhandensein derartiger reduzierter Simulationsmodelle würde aber prinzipiell die Anwendung von Methoden der simulationsbasierten Optimierung in großen Netzwerken erlauben. Außerdem wäre es so möglich, Ansätze, die zwischen analytischen Ansätzen wie linearer Optimierung und Simulation iterieren, auch für große Netzwerke anzuwenden.

Das Ermitteln einer geeigneten situationsabhängigen Parametrisierung von Planungs- und Steuerungsheuristiken ist eine wichtige Fragestellung für Anwender und Anbieter von entsprechenden Softwarelösungen. Außerdem stellt die Aufbereitung und Analyse der Ergebnisse häufig einen Engpass dar, der die Anwendung quantitativer Verfahren behindert. Diese beiden Fragestellungen können gleichzeitig behandelt werden, indem spezielle wissensbasierte Systeme geschaffen werden, sogenannte Zugangssysteme, die dem Anwender zu einer bestimmten Methode hinführen, wobei die Methoden Bestandteil einer Methodenbank sind und Abgangssysteme, welche die Analyse und Interpretation der Ergebnisse unterstützen. Obwohl solche Werkzeuge bereits für spezielle Fragestellungen wie lineare Optimierung (vgl. Greenberg 1996) oder diskrete Simulation (vgl. Belz und Mertens 1994) entwickelt wurden, sind weitere Forschungsarbeiten für Entscheidungsunterstützungssysteme nötig, die andere Methoden verwenden. Außerdem ist es notwendig, Assistenzsysteme zu schaffen, die den Anwender bei einer bestimmten Methode unterstützen, zum Beispiel, wenn geeignete Parameterbelegungen zu finden sind.

Eine große Rechenzeit stellt immer noch ein Hindernis für die Anwendung quantitativer Methoden dar, beispielsweise, wenn die Ansätze für interaktive What-if-Szenarien vorgesehen sind. Degbotse et al. (2013) berichten, dass einzelne Planungsinstanzen, die auf Unternehmensdaten basieren, in wenigen Stunden gelöst werden können, während Datensätze für Szenarien bis zu einem Tag Rechenzeit erfordern. Aus diesem Grund ist es sinnvoll zu untersuchen, welche spezifischen Entscheidungsprobleme in Produktions- und Dienstleistungsnetzwerken geeignet sind, unter Verwendung von Parallelrechnern gelöst zu werden. Potenzielle Kandidaten sind große stochastische Produktionsplanungs- oder Ablaufplanungsprobleme.

3 Wissenschaftliche Methoden zur Lösung der Probleme

Wir diskutieren Methoden, von denen erwartet wird, dass sie zur Lösung der Herausforderungen, die in Abschn. 1 und 2 beschrieben sind, beitragen können. Da Fragen der Leistungsbewertung für alle Herausforderungen gleichermaßen wichtig sind, werden diese zusätzlich in Abschn. 3.4 behandelt.

3.1 Integrierte Problemstellungen

Es ist zu untersuchen, ob das von Schneeweiss (2003) vorgeschlagene Paradigma der verteilten Entscheidungsfindung oder andere Organisationsformen einen Bezugsrahmen bilden, der durch eine geeignete Kombination von zentralen und dezentralen Lösungsansätzen verfeinert werden kann. Wir wissen wenig darüber, wie eine Antizipation der Charakteristika anderer beteiligter Entscheidungseinheiten zu erfolgen hat. Multi-Agenten-Systeme (MAS) sind ein Softwareparadigma, das dazu verwendet werden kann, Ansätze der verteilten Entscheidungsfindung zu implementieren. Allerdings ist die Anzahl erfolgreicher praktischer Anwendungen klein. Ein sorgfältiger Vergleich von integrierten (zentralen) Ansätzen mit den zugehörigen dezentralen Ansätzen bezüglich Lösungsqualität und Rechenzeit ist notwendig.

Anreize für autonome Akteure können unter Verwendung spieltheoretischer Methoden ermittelt werden. Außerdem ist es möglich, unter Verwendung von Methoden des Forschungsgebiets Mechanism Design Regeln zu ermitteln, die sogar in Situationen, in denen die Agenten ihre Präferenzen nicht von sich aus wahrheitsgemäß offenbaren, zu guten Ergebnissen führen.

Modellierungsansätze für Unsicherheit, die zur Präferenzerhebung eingesetzt werden, können auf der Theorie der Fuzzy Sets oder alternativen Unsicherheitstheorien basieren. Agentenbasierte Simulation kann dazu verwendet werden, die Modellierung von Präferenzen zu bewerten.

3.2 Probleme im Zusammenhang mit der Berechnung robuster Lösungen

Typische Forschungsansätze in der Robustheitsdomäne beschäftigen sich mit dem Entwurf und der Leistungsbewertung von Online-Algorithmen oder von geeigneten Umplanungsverfahren. Wir erwarten, dass Methoden der stochastischen Optimierung und der approximativen dynamischen Programmierung, d. h. Markowsche Entscheidungsprozesse, zum Entwurf robuster Algorithmen für eine große Klasse von Problemen verwendet werden können.

Ein stochastisches Programm basiert in der einfachsten Form auf der Idee, dass eine Entscheidung in einer ersten Stufe getroffen wird. Zufällige Ereignisse können eintreten, die das Ergebnis der Entscheidungen der ersten Stufe beeinflussen. Eine Kompensationsentscheidung kann in einer zweiten Stufe getroffen werden, um ungewünschte Effekte zu beseitigen, die als Folge von Entscheidungen der ersten Stufe auftreten. Die Entscheidungen der ersten Stufe werden in einer solchen Art und Weise getroffen, dass ihre zukünftigen Auswirkungen durch eine Rekursfunktion berücksichtigt werden, die den Erwartungswert für diese Entscheidungen darstellt.

Die wesentliche Idee von Markowschen Entscheidungsprozessen besteht in der Ermittlung einer Strategie, die zur Auswahl der als nächstes auszuführenden Aktion herangezogen werden kann, wenn ein bestimmter Systemzustand erreicht wird. Die Strategie wird so bestimmt, dass der erwartete Nutzen maximiert wird.

Simulation kommt in Sampling-Methoden zum Einsatz, d. h., die Zielfunktionswerte werden durch Simulationen ermittelt. Ein ähnlicher Ansatz wird bei der simulationsbasierten Optimierung eingesetzt, bei der etwa Metaheuristiken mit Simulation zur Berechnung des Zielfunktionswertes im Falle von Unsicherheit kombiniert werden.

3.3 Probleme im Rahmen der Verkürzung des Modellbildungs- und Nutzungszyklus

Um den Modellbildungszyklus zu verkürzen, ist es sinnvoll, den Ansatz der reduzierten Simulationsmodelle für einzelne Knoten einer Lieferkette auf die gesamte Lieferkette auszudehnen. Da es unmöglich ist und gleichzeitig auch nicht notwendig erscheint, alle Knoten eines großen Produktions- und Dienstleistungsnetzwerkes in einem einzigen diskreten Simulationsmodell abzubilden, sind Methoden der verteilten Simulation dazu einzusetzen, die detaillierten Simulationsmodelle mit den reduzierten zu vergleichen. Wir sind davon überzeugt, dass Kombinationen von detaillierten oder reduzierten Simulationsmodellen mit Metamodellen, zum Beispiel multivariate Regression, deterministische Flow-Line-Modelle oder System Dynamics, erfolgversprechend sind. Bezüglich der Anwendbarkeit von durch partielle Differentialgleichungen modellierten nichtlinearen Fluid-Flow-Systemen zur Beschreibung des erwarteten Verhaltens einer Lieferkette liegen bisher nur erste Untersuchungen vor.

Techniken aus dem Bereich Expertensysteme sind potenzielle Kandidaten, um Zugangs- und Abgangssysteme zu entwerfen. Methoden des maschinellen Lernens können in Assistenzsystemen zum Tragen kommen, um situationsabhängig Parameterwerte in Heuristiken zu wählen.

Um mit dem hohen Rechenaufwand umgehen zu können, der typisch für die Lösung von Entscheidungsproblemen in Produktions- und Dienstleistungsnetzwerken ist, sind Dekompositionsheuristiken von Interesse. Metaheuristiken und ihre Kombination mit Ansätzen der linearen Optimierung, sogenannte Matheuristics, bei denen Techniken der linearen Optimierung genutzt werden, um Unterprobleme mit vielen Restriktionen zu lösen, können dazu verwendet werden, qualitativ hochwertige Lösungen zu ermitteln. Außerdem können Unterprobleme parallel gelöst werden. Da leistungsfähige Parallelrechner, sowohl traditionelle Multi-Core- und Cluster-Systeme sowie spezialisierte Architekturen wie die Compute Unified Device Architecture (CUDA), in jüngerer Zeit preisgünstig geworden sind, ist es möglich, solche Systeme in Unternehmen einzusetzen. Das beinhaltet den Eigenbetrieb derartiger Systeme oder die Nutzung in der Cloud. Wiederum liegen nur erste Untersuchungen vor, die den Einsatz von CUDA für die Lösung von Ablaufplanungs- und Tourenplanungsproblemen zum Gegenstand haben (vgl. zum Beispiel Schulz et al. 2013).

3.4 Fragen der Leistungsbewertung

Die Leistungsfähigkeit der vorgeschlagenen Algorithmen kann entweder unter Verwendung existierender Benchmarkinstanzen beurteilt werden oder durch neu erzeugte Probleminstanzen. Allerdings ist gerade in einem so dynamischen und stochastischen Umfeld wie in Produktions- und Dienstleistungsnetzwerken eine simulationsbasierte Leistungsbewertung vor dem praktischen Einsatz der Algorithmen von großem Interesse, da kontrollierte Experimente in einer industriellen Umgebung nahezu unmöglich erscheinen.

Die neuartigen Ansätze sind prototypisch in existierende Anwendungssysteme einzubetten. Feldversuche mit den Prototypen sind wünschenswert, um die Leistungsfähigkeit der Prototypen auch außerhalb universitärer Forschungslabore untersuchen zu können. Die Schwierigkeiten, die im Zusammenhang mit der Entwicklung größerer Softwaresysteme und den zugehörigen Feldversuchen zu lösen sind, ergeben sich aus den langen Entwicklungszyklen an Universitäten, die durch kleine Forschungsteams verursacht werden, aus der fehlenden Robustheit der Prototypen sowie aus organisatorischen Problemen in den Unternehmen, die durch eine fehlende Passgenauigkeit zwischen Geschäftsprozessen und Planungsmodellen verursacht werden. Technische Integrationsprobleme sowie fehlendes Engagement der Pilotanwender in den Unternehmen verursachen ebenfalls Probleme. Schließlich ist auch die Tatsache zu berücksichtigen, dass universitäre Forschungslabore häufig nicht in der Lage sind, schnell und effizient Probleme mit der Software zu lösen. Die Erkenntnisse aus den Feldversuchen sind bei der Verbesserung der Algorithmen zu berücksichtigen. Wir streben eine Verallgemeinerung der Algorithmen und Prototypen in dem Sinne an, dass sie in vielen praktischen Situationen einsetzbar sind.

4 Relevante akademische Disziplinen und erforderliche interdisziplinäre Zusammenarbeit

Die Herausforderungen, die in Abschn. 2 diskutiert wurden, verlangen eine enge Zusammenarbeit der Wirtschaftsinformatik mit anderen akademischen Disziplinen. Die Betriebswirtschaftslehre ist für die Identifikation und Analyse von Problemen aus der Wirtschaft verantwortlich. Diese Disziplin ist für alle drei Herausforderungen wichtig, da betriebswirtschaftliche Problemstellungen unsere Forschungsdomäne bilden. Methoden des Operations Research, der Statistik, der theoretischen Informatik, des Entwurfs effizienter Algorithmen, der Künstlichen Intelligenz und des maschinellen Lernens sind zur Problemanalyse und zum Entwurf entsprechender Algorithmen für die drei Herausforderungen zu verwenden. Techniken des Software Engineerings und des Datenmanagements sind beim Entwurf und der Implementierung der Prototypen heranzuziehen.

Außerdem ist es erforderlich, ökonomische Problemstellungen und Mechanismen unter einem stärker algorithmischen Blickwinkel für Herausforderung 1 zu betrachten, d. h., die Informatikperspektive innerhalb des interdisziplinären Forschungsgebiets „Computational Mechanism Design“ (vgl. Nisan et al. 2007) einzunehmen. Erkenntnisse der Psychologie und anderer Verhaltenswissenschaften können für mögliche Anreizmechanismen in teilautomatisierten Planungs- und Steuerungsmechanismen im Rahmen von Herausforderung 1 und der Gestaltung von Mensch-Maschine-Schnittstellen im Rahmen von Herausforderung 3 berücksichtigt werden.

Wir betrachten nun nachfolgend ein Beispiel für die erste Herausforderung, das die Notwendigkeit einer interdisziplinären Forschung zeigt. Eine integrierte Ablaufplanung für Produktionsjobs und vorbeugende Instandhaltungsaktivitäten wird untersucht. Die zu entwickelnden Verfahren sind in das MES eines großen Unternehmens zu integrieren. Zunächst ist das Problem zu analysieren. Insbesondere ist es wichtig, Leistungsmaße auszuwählen, welche die globalen Geschäftsziele des Unternehmens unterstützen. Dazu werden Methoden der Betriebswirtschaftslehre benötigt. Nachdem das Problem beschrieben und analysiert ist, wird eine gemischt-ganzzahlige Optimierungsformulierung vorgeschlagen, um erste Einsichten zu gewinnen. Dazu sind Kenntnisse im Operations Research erforderlich. Es werden Methoden der theoretischen Informatik benötigt, um die Komplexität des Problems zu untersuchen. Angenommen, das Problem ist NP-schwer. Dann ist ein effizienter Ansatz auf Basis von Metaheuristiken vorzuschlagen, um große Probleminstanzen mit vertretbarem Rechenaufwand lösen zu können. Dieser Schritt verlangt Kenntnisse in Künstlicher Intelligenz und im Entwurf von Algorithmen. Ansätze des maschinellen Lernens können nützlich sein, um die vielen Parameter der Metaheuristik in einer situationsabhängigen Art und Weise mit Werten zu belegen. Da wir an einer Anwendung der vorgeschlagenen Methode im unternehmensweiten MES interessiert sind, ist es erforderlich, die integrierte Ablaufplanungsfunktionalität in einem Webservice zu kapseln, der es uns erlaubt, Daten aus dem MES zu beziehen und Ablaufpläne dem MES zur Verfügung zu stellen. Techniken des Software Engineerings und des Datenmanagements sind für die Entwicklung des Softwareprototyps erforderlich.

5 Konkrete Beispiele für Forschungsergebnisse

Wir stellen exemplarisch einige bereits erzielte Forschungsergebnisse in diesem Abschnitt vor. Die entsprechenden Artikel sind in Tab.  1 den Herausforderungen aus Abschn. 2 zugeordnet.

Tab. 1 Zuordnung von Forschungsherausforderungen zu ersten Ergebnissen

Mönch (2006) schlägt ein verteiltes hierarchisches Steuerungssystem für komplexe Produktionssysteme vor. Das System ist als MAS implementiert. Es ist aber interessant, auch Produktionsplanungsansätze im MAS zu verwenden. Ein integrierter Optimierungsansatz für die Fahrereinsatz- und die Tourenplanung wird von Steinzen et al. (2010) vorgestellt. Fink und Homberger (2013) entwickeln einen automatischen Verhandlungsmechanismus für das Project Scheduling, wobei Informationsasymmetrie und konfliktäre Ziele der Agenten berücksichtigt werden. Driessel und Mönch (2012) schlagen einen integrierten Ablaufplanungs- und automatischen Transportansatz vor, der die Shifting-Bottleneck-Heuristik auf diese Situation ausdehnt. Allerdings wird lediglich ein sehr einfaches automatisches Transportsystem betrachtet. Weitere Forschungsanstrengungen sind notwendig, um praxisrelevante Nebenbedingungen zu berücksichtigen.

Multikriterielle evolutionäre Algorithmen, die Präferenzen von Entscheidern in Form von Referenzpunkten berücksichtigen, werden von Pfeiffer et al. (2008) vorgeschlagen. Es ist allerdings notwendig, den vorgeschlagenen Ansatz unter Verwendung zusätzlicher Anwendungsszenarien weiter zu evaluieren. Die Präferenzen von Entscheidern sind häufig mit sprachlicher Unschärfe verbunden. Lang et al. (2012) beschäftigen sich mit der Erhebung, Modellierung und Verarbeitung unsicherer Präferenzen menschlicher Entscheider in elektronischen Verhandlungen. Dabei werden Fuzzy Sets als Modellierungsansatz verwendet. Es erscheint aber sinnvoll, auch alternative Modellierungsansätze in die Untersuchungen einzubeziehen. Anwendungen im SCM-Bereich sind zu betrachten.

Ehmke et al. (2012) zeigen, wie Echtzeit-Daten dazu verwendet werden können, Entscheidungen in der Transportlogistikdomäne zu verbessern. Dück et al. (2012) schlagen Ansätze für eine robuste Besatzungseinsatz- und Flugplanung vor, wobei Verspätungen und Störungen, die typisch für Transporte mit Flugzeugen sind, berücksichtig werden.

Der Entwurf von Metaheuristiken für industrielle Planungsprobleme unter Verwendung eines objektorientierten Rahmenwerks wird von Fink und Voß (2003) diskutiert. Rothlauf (2011) klassifiziert Metaheuristiken und zeigt, wie entsprechende Heuristiken unter Verwendung problem- und instanzspezifischen Wissens entworfen werden können. Ehm et al. (2011) untersuchen die Simulation von Lieferketten in der Halbleiterindustrie. Techniken für reduzierte Simulationsmodelle werden auf eine Lieferkette relativ geringer Größe angewandt. Es ist allerdings wünschenswert, diese Methode auf große Lieferketten auszudehnen. Bilyk und Mönch (2012) schlagen eine Variante der Shifting-Bottleneck-Heuristik vor, die auf einem Parallelrechner ausgeführt wird, um große Ablaufplanungsprobleme für Halbleiterfabriken zu lösen. Dieses Vorgehen erlaubt den Einsatz moderner Metaheuristiken zur Lösung der auftretenden Unterprobleme. Die Durchführung von Simulationsexperimenten, die unter Verwendung von Methoden der optimalen Versuchsplanung entworfen werden, ist anstrebenswert.

Als Zusammenfassung der Erkenntnisse dieses Artikels schlagen wir die folgende Forschungsagenda für die nächsten Jahre vor.

Herausforderung 1: Wir werden durch die Betrachtung von spezifischen Beispielen aus der Produktionsplanungs- und Ablaufplanungsdomäne untersuchen, wie Planung und Steuerung in großen Produktions- und Dienstleistungsnetzwerken zu verbinden sind. Das Wissen bezüglich der Modellierung von Präferenzen wird durch die Betrachtung alternativer Modellierungsansätze und durch das Studium von Anwendungsbeispielen erweitert werden. Koordinationsmechanismen für autonome Akteure, die Anreize berücksichtigen, werden analysiert werden. Wir sind daran interessiert, die Vorteile und Nachteile integrierter Planungsansätze im Vergleich zu dezentralen, koordinierten Ansätzen besser zu verstehen.

Herausforderung 2: Wir werden Algorithmen und zugehörige Anwendungssysteme, die in der Lage sind, das dynamische und stochastische Verhalten des zugrundeliegenden Basissystems zu berücksichtigen, entwerfen und implementieren sowie ihre Leistungsfähigkeit bewerten. Dabei erscheint es sinnvoll, zunächst mit dynamischen und stochastischen Gegenstücken von statischen Problemen mit deterministischen Daten aus der Transport-, Produktionsplanungs- sowie Ablaufplanungsdomäne, für die bereits ein tiefes Verständnis vorliegt, zu beginnen. Außerdem sind wir daran interessiert, die Grenzen der einfachen Methoden, die gegenwärtig zur Lösung von dynamischen und stochastischen Problemen verwendet werden, besser zu verstehen. Basierend auf diesen Erkenntnissen werden wir an fortgeschritteneren Methoden arbeiten.

Herausforderung 3: Wir werden Techniken entwickeln, anwenden und testen, die eine Simulation von großen Lieferketten gestatten. Auf diesen Simulationsmodellen basierend, werden wir an hybriden Ansätzen für große Produktions- und Dienstleistungsnetzwerke arbeiten, die analytische Techniken und Simulation verbinden. Es wird untersucht werden, wie solche simulationsbasierten Methoden in kommerziellen Anwendungssystemen eingesetzt werden können. Außerdem werden wir an der situationsbasierten Parametrisierung von Heuristiken arbeiten, die zur Entscheidungsunterstützung in Produktions- und Dienstleistungsnetzwerken eingesetzt werden. Das Verständnis für das Anwendungspotenzial der Parallelverarbeitung soll durch die Betrachtung domänenspezifischer Beispiele vergrößert werden.

6 Schlussfolgerungen

In diesem Artikel haben wir verschiedene Herausforderungen für eine modellbasierte Entscheidungsunterstützung in Produktions- und Dienstleistungsnetzwerken diskutiert. Die Hauptherausforderungen liegen in der verteilten Entscheidungsfindung in großen Produktions- und Dienstleistungsnetzwerken, in der Berücksichtigung von dynamischem und stochastischem Systemverhalten während der Entscheidungsfindung und in der Verkürzung des Modellbildungs- und Nutzungszyklus. Es wurde erklärt, warum wir erwarten, dass die Beschäftigung mit diesen Herausforderungen wichtig ist, um einen breiten Einsatz von effizienten Entscheidungsunterstützungslösungen in der betrieblichen Praxis zu erreichen. Wir haben außerdem gezeigt, warum es erforderlich ist, interdisziplinäre Anstrengungen vorzunehmen. Eine Forschungsagenda für die nächsten Jahre wurde vorgeschlagen.