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Publicly Available Published by Oldenbourg Wissenschaftsverlag August 10, 2017

S. Diefenbach/M. Hassenzahl: Psychologie in der nutzerzentrierten Produktgestaltung

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S. Diefenbach / M. Hassenzahl: Psychologie in der nutzerzentrierten Produktgestaltung. Die Wirtschaftspsychologie. Berlin: Springer-Verlag, 2017, 197 S.


Der Titel des Buches von Sarah Diefenbach und Marc Hassenzahl „Psychologie in der nutzerzentrierten Produktgestaltung“, erschienen 2017 in der Reihe „Die Wirtschaftspsychologie“ im Springer-Verlag (197 Seiten), wirkt im ersten Moment unspektakulär. Dass Psychologie in der nutzerzentrierten Produktgestaltung eine wichtige Rolle spielt, sollte weitgehend bekannt sein. Man denkt vielleicht zunächst unweigerlich an Ingenieurpsychologie, an kognitionspsychologische Modellierung, wahrgenommene Usability etc. Der Untertitel ist es, der eher Aufschluss darüber gibt, was den Leser erwartet: „Mensch-Technik-Interaktion-Erlebnis“. Mit der Ergänzung des Wortes „Erlebnis“ wird assoziativ der Sprung zur „User Experience“ genommen. Der Kern dessen worum es geht.

Die Intention des Buches wird im ersten Satz des Vorwortes deutlich: „Wir wollen Menschen glücklich machen“. Es geht nicht einfach nur darum, das Nutzungserleben zu verstehen oder gar negatives Erleben durch gute Usability zu verringern. Ganz im Gegenteil, es geht darum, mehr Wohlbefinden im Umgang mit Produkten zu ermöglichen. User Experience wird nicht nur als allgemeines Phänomen des subjektiven Erlebens der Nutzung eines Produktes behandelt, sondern es wird der Anspruch erhoben, den Einfluss von Technologie auf das positive Erleben von Nutzern zu untersuchen, zu erklären. Zudem werden fundierte Modelle, Methoden und Hilfsmittel zur erlebniszentrierten Gestaltung von Technologie zur Verfügung gestellt. Auch klargestellt werden muss, dass es den Autoren nicht um positives Erleben als Mittel der Motivation zu einem bestimmten Verhalten geht, sondern als ein für sich stehendes Anliegen, eben „Menschen glücklich machen“. Diese klare Haltung zeichnet das Buch aus und ist konsequent, da sie hilft, Gestaltung für positives Erleben und Wohlbefinden als eigenen Wert und eigene Gestaltungsintention zu verstehen. Gerade die Diskussion um Gamifcation zeigt, dass positives Erleben sehr oft in Zusammenhang mit Einstellungs- und Verhaltensänderung diskutiert wird, also als Mittel zum Zweck.

Das Buch stellt im Wesentlichen die Forschungsarbeiten von Marc Hassenzahl und Sarah Diefenbach zu positiver User Experience etwa der letzten 10 Jahren zusammen. Dabei haben beide entscheidende Impulse zur User Experience Forschung gesetzt. Durch die Konzentration auf die eigenen Forschungsergebnisse erhält das Buch einen roten Faden und die Arbeiten bauen stringent aufeinander auf. Dabei werden durch eigene Studien belegte theoretische Grundlagen beschrieben und darauf aufbauend Werkzeuge zur Gestaltung für positive User Experience vorgestellt.

Zentral für das Verständnis des gesamten Buches ist die Definition der User Experience als ein wertendes Gefühl (negativ, positiv) während der Nutzung eines Produktes, Systems oder Dienstleistung. In der Definition steht die Emotion als entscheidende Komponente klar im Vordergrund. Noch wichtiger aber ist die theoretisch fundierte Klärung, wie positive User Experience entsteht. Nämlich durch Erfüllung psychologischer Bedürfnisse, wie Autonomie, Kompetenz, Verbundenheit, Stimulation Popularität, Sicherheit und Bedeutsamkeit. Diese sind bei allen Menschen vorhanden, wenn auch situativ abhängig in unterschiedlichen Ausprägungen. Tragen also Produkte zur Erfüllung psychologischer Bedürfnisse bei, kommt es zu positiven Emotionen und somit zu positiver User Experience. Gerade diese zweite Komponente der Definition ist aus meiner Sicht bahnbrechend und hat ein grundlegendes Verständnis positiver User Experience und Gestaltung für Wohlbefinden ermöglicht. Die Autoren haben diese Zusammenhänge in ausführlichen Studien belegt. Sie weisen selbst nicht darauf hin, aber gesagt werden muss, dass genau dieses Modell der User Experience mittlerweile auch von anderen Wissenschaftlern geprüft und weitgehend bestätigt wurde. Somit bewegt man sich mit diesem Ansatz auf sicherem und fundiertem Terrain.

Eine weitere wichtige Komponente im Verständnis der User Experience ist die Unterscheidung der Autoren in pragmatische und hedonische Qualität. Traditionell werden Produkte vor allem für die pragmatische Qualität konstruiert. Die Produkte dienen bestimmten Zwecken und mit ihnen sollen Ziele erreicht werden. Mit der hedonischen Qualität rückt das Selbst der Nutzer und die Erfüllung der eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund und genau hier liegt der Schwerpunkt dieses Buches und setzt damit einen klaren Kontrapunkt zur meist pragmatisch orientierten Betrachtung der Technologiegestaltung.

Um für positive User Experience bzw. Wohlbefinden zu gestalten wird ein für Designer hilfreiches Modell der Gestaltung für positive User Experience angeboten. Es adressiert drei Frageebenen zum Entwurf eines Produktes: „Warum“, „Was“ und „Wie“. Wichtig ist bei diesem Modell zu verstehen, dass die Gestaltung nicht beim Produkt beginnt, sondern beim Entwurf des positiven Erlebnisses. Auch damit setzen die Autoren einen klaren Kontrapunkt zur etablierten Technologiegestaltung. Somit wird auf der Ebene des „Warum“ zunächst geklärt, welche psychologischen Bedürfnisse im Rahmen eines Erlebnisses erfüllt werden sollen. Mit dem „Was“ wird entschieden, welche Art von Aktivitäten beitragen können, ein geplantes positives Erlebnis zu entwerfen. Erst hier ergibt sich die Frage danach, mit welchen Funktionen ein Produkt das positive Erlebnis ermöglichen kann. Mit der Ebene „Wie“ tritt das Produkt mit seinen Interaktionen in den Vordergrund. Die Interaktionen müssen dann das intendierte Erlebnis passend unterstützen und in angemessener Form Zugang zu den erlebnisprägenden Funktionen bieten. Die Autoren sprechen von der Ästhetik der Interaktion. Soll beispielsweise eine Interaktion das Bedürfnis Kompetenz mit unterstützen, so sollte die Interaktion unmittelbar Wirksamkeit entfalten, um ein Gefühl von Selbstwirksamkeit zu ermöglichen. Die Autoren haben ein Interaktionsvokabular entwickelt, in dem sie die bipolaren Eigenschaften von Interaktionen ermittelten und mit Bedürfnissen in Zusammenhang stellten.

Neben der gründlichen Klärung der theoretischen Grundlagen werden zum Entwurf nützliche und direkt anwendbare Vorgehensweisen und Werkzeuge angeboten. Dazu gehören beispielsweise Bedürfniskarten für grundlegende Entwürfe von Erlebnissituationen auf der „Warum“-Ebene. Die Besonderheiten eines Bedürfnisses werden beschrieben, damit zusammenhängende Gefühle und Assoziationen dargestellt und mit passenden Zitaten von Befragten illustriert. Somit sind sie geeignet, im Rahmen einer Konzeptionsaktivität zur Inspiration eingesetzt zu werden. Tatsächlich handelt es sich dabei um einen theoriegetriebenen Entwurf, der sich aber durch die Bedürfniskarten nahtlos in kreative Gestaltungsprozesse integriert. Für die Evaluation erlebniszentrierter Konzepte wird beschrieben, wie die vorgestellten Werkzeuge (z. B. Bedürfniskarten) auch für diesen Zweck eingesetzt werden können. Zudem werden aufbauend auf den Grundlagen des Bedürfnisansatzes und des Interaktionsvokabulars spezialisierte Instrumente zur Evaluation abgeleitet (z. B. Fragebogen zur Interaktion). Ein Kapitel widmet sich dem Prototyping, um Konzepte der Gestaltung für positive Nutzungserlebnisse mit angepassten Prototyping-Verfahren erfahrbar zu machen.

Theoretische Ausführungen und auch Gestaltungsvorgehensweisen werden anhand z. T. ausführlicher Projektbeschreibungen veranschaulicht. Insgesamt ist das Buch sehr verständlich geschrieben und ist auch für Personen hoch spannend, die nicht tief in der UX-Forschung tätig sind. Es richtet sich an UX-Interessierte aus Forschung und Designpraxis. Neben der inhaltlichen Stringenz gibt es auch viele Hilfsmittel, die das Lesen erleichtern und interessant machen. Jedes Kapitel hat ein Fazit und in den Kapiteln werden Beispiele, interessante Studien oder ergänzende Themen in anschaulichen Kästen behandelt.

Dieses Buch ist wichtig und setzt ein Statement für eine Technologiegestaltung für positive Erlebnisse und Wohlbefinden. Es macht klar, es muss auch noch eine andere Form der Produktgestaltung geben, bei der Produkte nicht nur als Werkzeuge gestaltet werden, die beim Bewältigen von Problemen unterstützen sollen. Produkte können und sollten Möglichkeiten schaffen, die das Wohlbefinden erhöhen können. Dieses Bestreben ist wie aktuelle Studien anderer Autoren zeigen weder in der Community der Gestalter noch in der Community der HCI-Wissenschaftler weit verbreitet. Der Grund ist nicht, dass man es nicht wollte, sondern dass ein systematisches Umdenken notwendig ist. Dieses Buch ist eine hervorragende Basis dafür und kann einen neuen Blick auf Technologiegestaltung eröffnen.

Published Online: 2017-08-10
Published in Print: 2017-08-28

© 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 25.4.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/icom-2017-0016/html
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