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Narrative Methoden und temporalisierte Kommunikationsnetzwerke. Ein Vergleich ereignisbasierter Modelle aus kommunikationssoziologischer Sicht

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Die Dynamik sozialer und sprachlicher Netzwerke

Zusammenfassung

In diesem Beitrag wird eine ereignisbasierte Modellierungsstrategie sozialer Kommunikationsprozesse vorgestellt und mit drei formalen narrativen Methoden der historischen Soziologie verglichen: Ereignisstrukturanalyse, Sequenzanalyse und Netzwerkanalyse. Gemeinsam ist ihnen die Auffassung, dass Geschichte ohne temporale Begriffe nicht verstanden werden kann und dass es vor allem der Ereignisbegriff ist, der den Schlüssel zum Verständnis sozialer und historischer Ablaufdynamiken liefert. Einigkeit besteht auch in der Frage, dass narrative Nachvollziehbarkeit („followability“) allein nicht ausreicht, um Ereignisfolgen und Resultate sozialhistorischer Prozesse zu erklären. Und schließlich teilen die drei Methoden die Kritik an der Akteurs und Zeitvergessenheit der Variablensoziologie, die unter weitgehender Abstraktion von Aktionen und Ereignissen unterstellt, dass statistische Zusammenhänge als Kausalzusammenhänge interpretiert werden können, die auf zeitlos gültigen Gesetzen beruhen.

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Notes

  1. 1.

    Für kritische Kommentare und konstruktive Anregungen danke ich Miriam Barnat, Katrin Billerbeck, Jan Fleck, Michael Florian, Rasco Hartig-Perschke, Jan Hildebrandt und Marco Schmitt.

  2. 2.

    Franzosi umschreibt die narrative Ausrichtung als eine methodologische Bewegung “…away from variables to actors, away from regression-based Statistical models to networks, and away from a variable-based conception of causality to narrative sequences. That view promises to bring sociology closer to history and to sociology’s own original concerns with issues of human agency.” (Franzosi 1997: 527)

  3. 3.

    Löschen von Mitteilungszeichen wird in der Simulationsumgebung COMTE (Communication Oriented Modeling Test Environment) durch eine Zerfallsfunktion berechnet, die als „aging function“ bezeichnet wird. Um den Zerfallseffekt klar demonstrieren zu können, ist die Zerfallsfunktion hier besonders scharf voreingestellt, d.h. Mitteilungszeichen verlieren sofort ihre Anschlussfähigkeit, wenn sie im aktuellen Zeitschritt nicht mehr referenziert werden. Bei abgemilderter Voreinstellung tritt der Zerfall nicht auf einen Schlag ein, sondern vollzieht sich allmählich (Malsch et al. 2007).

  4. 4.

    Zum „Nachtragsmanagement“ der kommunikativen Episodenbildung am Beispiel der Skandalkommunikation vgl. Hartig-Perschke (2009:2150). Zur Relationierung von Öffnen und Schließen sozialer Netzwerke im Anschluss an netzwerktheoretische Überlegungen von Harrison White vgl. Schmitt (2009: 232ff).

  5. 5.

    "… although some events may become activated by discovery or the future, most are never so fortunate. Whatever meaning most events have is likely fixed completely within a Single, specific event sequence, itself fixed within larger, more complex event-sequences. Put another way, neither the discovery of new events or unknown future occurrences are likely to alter in any way the sequence of events that "dead" events are embedded in, and consequently their meaning is also fixed. Nevertheless, some events have already, and some more may, become embedded in new event sequences following discovery or the occurrence of events in the future. Consequently, we can imagine a distribution of events, defined with respect to their probability of activation, "fliegt dann darin, dass sich Rezeptions luidity of meaning," or susceptibility to being conditioned by the future." (Bearman et al. 2003: 62)

  6. 6.

    Daraus kann man mit Wu (2000) den Einwand konstruieren, dass das „optimal matching“ (OM) „zwar für die DNS-Analyse taugen mag, nicht aber für die Analyse von Lebensverläufen. Einfügen, Löschen und Substitution beschrieben in der Molekularbiologie mehr oder weniger reale Prozesse (Mutationen), hätten aber in Lebensverläufen keine realen Entsprechungen. Darüber hinaus ignoriere OM die Zeit – das zentrale Konzept der Lebensverlaufanalyse -, weil ja DNS-Sequenzen keine zeitliche Ordnung haben.“ (Brüderl und Scherer 2004: 343)

  7. 7.

    Es ist ein ebenso gängiges wie unergiebiges Missverständnis der Sequenzanalyse, soziale Prozesse unterschiedslos als „narrativ“ zu qualifizieren (vgl. Z.B. Mützel 2007). Stattdessen kommt es darauf an, einen soziologischen Narrativitätsbegriff zu entwerfen, der an der Differenz historischer Repräsentationstechniken (Narrative, Chroniken und Annalen, vgl. White 1987) ansetzt und mit unterschiedlichen narrativen Qualitäten arbeitet.

  8. 8.

    "Events", so schreibt Abbolt in "Time & Events", "are inherently complex" (Abbolt 2001: 165) und „can come in a variety of temporal orderings – strict sequence, overlap, simultaneity.“ (Abbolt 2001: 181, Time & Events 1990). „Optimal Matching“ (OM) wird dieser Komplexität nicht gerecht. Sie ist auf “strict sequence“ beschränkt und kann komplexere Phänomene wie “overlap“ und „simultaneity“ nicht verarbeiten. Insofern ist OM nicht gemacht “for dealing with multiple, parallel tracks of sequence information…; it must be reduced somehow to the unilinear structure expected by the OM algorithms.“ (Abbolt und Tsai 2000: 9).

  9. 9.

    Wenn Reichweite und Durchschlagskraft der Kommunikation durch Realabstraktion und Eliminierung von unzähligen mikrokommunikativen Vermittlungen und Konzentration des Prozesses auf wenige symbolkräftige Mitteilungszeichen gesteigert werden können, dann wäre zu überlegen, wie die in der Kommunikationssoziologie gewohnheitsmäßig auf Personen und Handlungen begrenzte Attribution von Kommunikation auch auf nicht personifizierbare Meinungen und Themen, Deutungsmuster und Diskurse, Teilöffentlichkeiten oder Institutionen erweitert werden könnte. Anregungen finden sich bei Luhmann: „Die Reduktion (von Kommunikation, thm) auf Handlung hat sich zwar evolutionär derart bewährt und durchgesetzt, dass selbst die Soziologie sie zumeist unreflektiert mitvollzieht und soziale Systeme schlicht als Handlungssysteme auflfasst. Das wird mit der im Text präsentierten Theorie zugleich verständlich gemacht – und als kontingent behandelt. Man könnte sich vor allem historische Forschungen denken, die unvoreingenommen genug die Frage prüfen, ob und wieweit frühere Kulturen überhaupt in so entschiedener Weise nach einem Handlungsmodell gelebt haben.“ (Luhmann 1984: 233)

  10. 10.

    „By permitting temporal flow and sequence to carry the explanatory bürden, narrative implicitly portrays all actions occurring before time t as direct or indirect causal antecedents of an action at time t. But, as has often been noted, chronological order does not necessarily suggest historical or causal significance…. Simply put, the distinction between a temporal antecedent and a causal one is too often obscured in narrative.“ (GrifEn 1993,1100)

  11. 11.

    Unter der Annahme, dass das Kontextproblem zwar nicht grundsätzlich gelöst, aber forschungspragmatisch verschoben und kleingearbeitet werden kann, könnte man fallübergreifende gesellschaftliche Strukturen (Nor-men, Werte, Deutungsmuster, Konflikt und Machtbeziehungen) in eine Vielzahl komplex vernetzter Kommuni-kationsepisoden auflösen und schrittweise zu modellieren versuchen, wie diese sich als relationale Infrastruktu-ren wechselseitig mit Sinn versorgen und sich abstützen (Malsch 2005: 240f).

  12. 12.

    Die folgende Analyse deckt sich in groben Zügen mit Nusseibehs Bericht, aber sie will und kann keine fakten-treue Wiedergabe der Ereignisse bieten. Das gilt insbesondere für die Kommunikation im Familienkreis der betroffenen Frau, über die keinerlei Angaben vorliegen. Der hier dargestellte familieninterne Kommunikationsablauf ist eine nicht unplausible, aber erfundene Rekonstruktion, die gewissermaßen mit „proxy data“ arbeitet.

  13. 13.

    Analogie und Differenz zum Verhältnis von „erzählter Zeit“ (Dauer der realen Geschichte) und „Erzählzeit“ (Dauer des Erzählens der realen Geschichte) sind hier offensichtlich (Genette 1994: „histoire“ und „discours“).

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Malsch, T. (2013). Narrative Methoden und temporalisierte Kommunikationsnetzwerke. Ein Vergleich ereignisbasierter Modelle aus kommunikationssoziologischer Sicht. In: Frank-Job, B., Mehler, A., Sutter, T. (eds) Die Dynamik sozialer und sprachlicher Netzwerke. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-93336-8_7

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