Skip to main content

Die Grenzen der Digitalisierung. Neubestimmung der hybriden Handlungsträgerschaft zwischen Mensch und Technik und Implikationen für eine humane Technikgestaltung

Digitalization and its Limits. Redefining the Distributed Agency between Humans and Technology and Implications for a Human Technology Design

  • Published:
HMD Praxis der Wirtschaftsinformatik Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Der Beitrag stellt die Unterscheidung zwischen explizierbarem und nicht-explizierbarem Wissen und zwischen den daran jeweils anschließenden Handlungsformen der ‚Objektivierung‘ und ‚Subjektivierung‘ ins Zentrum, um differenziertere Antworten zu ermöglichen auf zentrale Fragen der Digitalisierung von Arbeit: Wie wirkt sich die Informatisierung auf Arbeit, Tätigkeiten und gefragte Kompetenzen aus? Wie kann die Interaktion zwischen Mensch und Technik/Maschinen, wie kann überhaupt digitalisierte Arbeit nachhaltig und menschengerecht gestaltet werden? Anhand von Beispielen aus der Arbeitspraxis wird argumentiert, dass auch bei komplexen sozio-technischen Systemen und intelligenter Technik weiterhin von einer Art Arbeitsteilung zwischen Mensch und Technik auszugehen ist, um den Potenzialen von Mensch und Technik gerecht zu werden. Auf diese Weise wird typisch menschliches Arbeitsvermögen ermächtigt und eine Humanisierung der Arbeit (z. B. lernförderliche Arbeit) eher erreicht als durch eine Angleichung der Technik an den Menschen, die die Besonderheiten menschlichen Handelns systematisch ignoriert. Hieraus werden Folgerungen für die Technikgestaltung abgeleitet.

Abstract

Focusing upon the differentiation between explicable and non-explicable knowledge and the respective forms of action, viz. objectification and subjectification, the paper intends to provide more sophisticated answers to relevant questions of the digitalization of work: In which way does informatization influence work, work activities, and competency requirements? How can we design interaction between human beings and technology/machinery, how can we generally design digitized work in a sustainable and humane way? Using examples from work practice, the paper argues that a division of work between humans and technology is still necessary in order to do justice to the potentials of humans and technology respectively, even in cases of complex socio-technological systems, smart technology, and artificial intelligence. By acting on this premise, it is possible to empower specifically human labour capacity. In this way, humanization of work is more likely to be achieved than by means of a ‘humanization of technology’ that systematically ignores the characteristics of human action. In conclusion, consequences for the design of technology are discussed.

This is a preview of subscription content, log in via an institution to check access.

Access this article

Subscribe and save

Springer+ Basic
$34.99 /Month
  • Get 10 units per month
  • Download Article/Chapter or eBook
  • 1 Unit = 1 Article or 1 Chapter
  • Cancel anytime
Subscribe now

Buy Now

Price excludes VAT (USA)
Tax calculation will be finalised during checkout.

Instant access to the full article PDF.

Abb. 1

Notes

  1. Mit dem Fokus auf disruptive Innovation wird z. B. unterstellt, dass sich Berufe wie der Zahntechniker durch den 3D-Druck auflösen werden. Jedoch betonen Fachexperten (Zahntechniker, Verband Dental Industrie etc.) eher eine inhaltliche Verschiebung oder sogar eine Aufwertung des Berufs durch neue Technogien und integrierte Prozessketten, wie auch bisherige (technische) Veränderungen im Medizinbereich nahe legen und betonen weiterhin Fachkräftemangel (heraeus-kulzer 2015).

  2. Digitalisierung kann als besondere Form der Informatisierung verstanden werden. Sie tritt in die Fußstapfen der ‚Verschriftlichung‘ als zentrale Methode der Bürokratisierung.

  3. Denn gerade weil der Schwerpunkt der aktuellen Entwicklungstendenz mit der Digitalisierung auf der Formalisierungs- bzw. Explizierungslogik liegt, wird das Informelle relevanter, da es den notwendigen Teil der Praxis repräsentiert, der ausgeblendet wird.

  4. Ein solches Handeln wird auch als „situiertesi“ Handeln (Suchman 2007) bezeichnet.

  5. „MiMiK – Der Mensch im Mittelpunkt des KMU-Netzwerks im Kontext der Industrie 4.0“ ein Projekt gefördert durch das Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), betreut durch den Projektträger Karlsruhe (PTK-PFT), Laufzeit: 5/2014 bis 3/2016. http://www.isf-muenchen.de/projektdetails/154.

  6. Wie BigData-Algorithmen oder die KI ‚Watson‘ von IBM mit ihrer massively parallel probabilistic evidence-based architecture (DeepQA).

  7. Diese Sicht zeigt sich aktuell besonders deutlich bei Unternehmen wie Amazon und Hitachi. Dort werden Trackingsysteme (z. T. mit Audioaufzeichnung) zur Leistungskontrolle genutzt. Mitarbeiter müssen sich rechtfertigen, wenn sie unvorhergesehen wenige Minuten an einer Stelle verharren oder in Kontakt mit anderen treten. Bei Hitachi stößt anhand solcher Daten ein Programm sogar personelle Entscheidungen an (Welt 2015).

  8. Z. B. stellt sich die Frage, welche Einschränkungen mit autonomen Fahren (z. B. ‚Google-Auto‘ einhergehen würden; für Fahrer und Verkehrssystem.

  9. Siehe FN 6.

  10. Wie das Anlernen von KI-Systemen mit interpretativen Daten und symbolischen Deutungen und mit Handeln auf Basis von Wahrscheinlichkeiten (z. B. Watson).

  11. Vgl. auch die Versuche einer Nachahmung des menschlichen Gehirns (z. B. die neueren Entwicklungen der Bilderkennung durch Google) wie ‚Neuronale Netze‘ oder ‚Deep learning‘-Systeme.

  12. Man denke z. B. an intelligente, BigData nutzende Navigationsgeräte mit optimierten Schnittstellen, die das Orientierungs-/Navigationsvermögen der Nutzer fördern und nicht de-qualifizieren.

  13. Statt z. B. in der Produktion Leichtbauroboterarme mit sieben Gelenken auf die Bewegungen und die Hebekraft eines menschlichen Arms künstlich zu beschränken (um Unfälle zu vermeiden und Vertrauen zu erzeugen), könnte es die Handhabung des ‚Werkzeugs‘ und die Bindung zu ihm verbessern, wenn der ‚Nutzer‘ sich gerade die besonderen ergänzenden Möglichkeiten der Technik aneignen kann, um Dinge zu tun, die er nicht von selbst kann. Die teils starke (auch emotionale) Bindung zum privaten KFZ, zum großen Bagger, zum gut in der Hand liegenden Hammer (als verlängerter Arm‘) etc. wird eben dadurch hergestellt, dass man durch das Objekt zu ansonsten unmöglichen Handlungen befähigt wird und zum Ausdruck von Kompetenzen, die sonst brach liegen würden. Ein weiteres Beispiel sind Hebehilfen (z. B. Exoskelette) in der Logistik oder ähnliche Systeme in der Pflege (anstelle von Pflegerobotern), die es ermöglichen, dass weiterhin der Mensch im Mittelpunkt der (sozialen) Interaktion mit dem Patienten steht.

  14. Die Gefahr der De-Qualifizierung durch die Digitalisierung muss noch systematisch aufgegriffen werden. Einzelne Indizien sind z. B. Hinweise auf einen Verlust des Ortsgefühls durch Navigationstechnologie oder Auswirkungen von Kurznachrichten auf das Schreibvermögen. Darüber, wie der erhöhte ‚Technikkonsum‘ im Gegensatz dazu zu mehr Technikverständnis und erhöhte ‚praktische Kompetenzen‘ und Gegenstandgefühl führen könnte, besteht noch erheblicher Forschungsbedarf.

Literatur

  • Alkemeyer T (2009) Handeln unter Unsicherheit – vom Sport aus beobachtet. In: Böhle F, Weihrich M (Hrsg) Handeln unter Unsicherheit. VS Verlag, Wiesbaden, S 183–202

    Chapter  Google Scholar 

  • Bauer HG, Böhle F, Munz C, Pfeiffer S, Woicke P (2006) Hightech-Gespür. Erfahrungsgeleitetes Arbeiten und Lernen in hoch technisierten Arbeitsbereichen. Bertelsmann, Bielefeld

    Google Scholar 

  • Böhle F (2009) Erfahrungswissen – Erfahren durch objektivierendes und subjektivierendes Handeln. In: Bolder A, Dobischat R (Hrsg) Eigen-Sinn und Widerstand. VS Verlag, Wiesbaden, S 70–88

    Chapter  Google Scholar 

  • Böhle F (2015) Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit mit Ungewissheit. In: praeview. Zeitschrift für innovative Arbeitsgestaltung und Prävention, 2. Jg., Heft 3, 9

  • Böhle F, Milkau B (1988) Vom Handrad zum Bildschirm – Eine Untersuchung zur sinnlichen Erfahrung im Arbeitsprozeß. Campus, Frankfurt a. M.

    Google Scholar 

  • Böhle F, Rose H (1992) Technik und Erfahrung. Arbeit in hochautomatisierten Systemen. Campus, Frankfurt a. M.

    Google Scholar 

  • Fink RD, Weyer J (2014) Interaction of human actors and non human agents. A sociological simulation model of hybrid systems. Sci Technol Innovation Stud 10(1):47–64

    Google Scholar 

  • Frey CB, Osborne MA (2013) The future of employment: how susceptible are jobs to computerisation? Oxford. Working Paper Oxford Martin School. http://www.oxfordmartin.ox.ac.uk/publications/view/1314. Zugegriffen: 5. Nov. 2015

  • Gigerentzer G (2007) Bauchentscheidungen. Die Intelligenz des Unterbewussten und die Macht der Intuition. Bertelsmann, München

    Google Scholar 

  • heraeus-kulzer (2015) http://heraeus-kulzer.de/de/de/zahnlabor/heralab_news/ digitalisierung_staerkt_position_und_mitarbeiterbasis_1.aspx. Zugegriffen: 22. Nov. 2015

  • Hiner J (2011) Humanizing technology: the 100-year legacy of Steve Jobs. http://www.zdnet.com/article/humanizing-technology-the-100-year-legacy-of-steve-jobs/. Zugegriffen: 5. Nov. 2015

  • Latour B (1987) Science in action: how to follow scientists and engineers through society. Open University Press, Milton Keynes

    Google Scholar 

  • Lee EA (2008) Cyber pysical systems: design challenges. University of California, Berkeley Technical Report No. UCB/EECS-2008-8. Retrieved 2008-06-07

  • Neuweg GH (2015) Das Schweigen der Könner. Gesammelte Schriften zu implizitem Wissen. Waxmann, Münster/New York

    Google Scholar 

  • Oliver (2014): http://www.surveypal.com/en/2014/10/28/steve-jobs-customer-experience/. Zugegriffen: 1. Dez. 2015

  • Pfeiffer S (2007) Montage und Erfahrung. Warum Ganzheitliche Produktionssysteme menschliches Arbeitsvermögen brauchen. Hampp, München/Mering

    Google Scholar 

  • Pfeiffer S, Suphan A (2015) Der Mensch kann Industrie 4.0. Kurzfassung zum AV-Index. Stuttgart: Universität Hohenheim. http://www.sabine-pfeiffer.de/files/downloads/2015_Mensch_kann_Industrie40.pdf

  • Polanyi M (1985) Implizites Wissen. Suhrkamp, Frankfurt a. M.

    Google Scholar 

  • Porschen-Hueck S (2010) Andere Form – anderer Rahmen. Körper- und gegenstandsvermittelte Abstimmung in Arbeitsorganisationen. In: Böhle F, Weihrich M (Hrsg) Die Körperlichkeit sozialen Handelns. Transcript, Bielefeld, S 207–227

    Google Scholar 

  • Rammert W (2009) Hybride Handlungsträgerschaft: Ein soziotechnisches Modell verteilten Handelns. In: Herzog O, Schildhauer T (Hrsg) Intelligente Objekte. Springer, Berlin, S 23–33

    Chapter  Google Scholar 

  • Rammert W, Schulz-Schaeffer I (2002) Können Maschienen handeln? Soziologische Beiträge zum Verhältnis von Mensch und Technik. Campus, Frankfurt a. M.

    Google Scholar 

  • Suchman LA (2007) Plans and situated actions. The problem of human-machine communication. Cambridge University Press, Cambridge

    Google Scholar 

  • Welt (2015) http://www.welt.de/wirtschaft/article146223548/Bei-Hitachi-ist-jetzt-der-Kollege-Computer-Chef.html. Zugegriffen: 11. Dez. 2015

Download references

Author information

Authors and Affiliations

Authors

Corresponding author

Correspondence to Norbert Huchler.

Rights and permissions

Reprints and permissions

About this article

Check for updates. Verify currency and authenticity via CrossMark

Cite this article

Huchler, N. Die Grenzen der Digitalisierung. Neubestimmung der hybriden Handlungsträgerschaft zwischen Mensch und Technik und Implikationen für eine humane Technikgestaltung. HMD 53, 109–123 (2016). https://doi.org/10.1365/s40702-015-0199-0

Download citation

  • Received:

  • Accepted:

  • Published:

  • Issue Date:

  • DOI: https://doi.org/10.1365/s40702-015-0199-0

Schlüsselwörter

Keywords